Ingrid Klimke sitzt nach dem Sturz in Baborowko, der eine schwere Verletzung mit sich brachte, wieder im Sattel.
Ingrid, lieben Dank, dass du dir die Zeit für unser Interview nimmst.
Vor etwa 10 Wochen hattest du in Baborowko mit Weltmeisterin Cascamara einen unglücklichen, aber fatalen Sturz im Gelände, bei dem du dich schwer verletzt hast. Wie geht es dir inzwischen?
„Ja, ich muss wirklich sagen, das war mit Abstand der schlimmste Sturz für mich. Die ersten 6 Wochen hatte ich so starke Schmerzen, reiten war für mich sogar gedanklich in weiter Ferne. Das Schlüsselbein hat sich bei dem Sturz von meinem Brustbein abgesprengt und drückte nach innen auf die lebenswichtigen Organe, sodass ich vor der OP zeitweise wirklich selbst dachte, gleich reicht die Luft nicht mehr. Ich wurde dann in Münster von Professor Raschke operiert- da fühlte ich mich von Anfang an gut aufgehoben und auch die Nachsorge jetzt verläuft gut. Nach der OP fiel es mir schwer, zu atmen, zu schlucken und zu sprechen. Ich muss sagen, das war wirklich eine schlimme Erfahrung für mich. Mein Arzt sagte nach der OP, dass alles gut verlaufen sei und ich mal abwarten soll, bis 8 Wochen rum sind. Und nun muss ich sagen, ich war selbst überrascht, wie schnell es mir dann deutlich besser ging. Carmen hat meine Pferde mit dem ganzen Team super in Schuss gehalten, sodass ich jetzt so einsteigen kann, wie es mir danach ist.“
Wie viel reitest du aktuell schon wieder? Hast du dabei noch Einschränkungen?
„Seit der 9. Woche sitze ich nun wieder im Sattel. Ich reite inzwischen täglich Bobby und Siena, und so wie es passt noch einen dritten dazu. Meine Dressurpferde reitet Greta derzeit alle. Ich bin letzte Woche schon Parcours mit Kurt Gravemeier gesprungen und fahre mit den beiden zum Galopptraining am Berg. Gestern habe ich mit Hans dann das erste Mal wieder Geländesprünge gemacht. Das geht schon alles so, dass ich mich damit wohl fühle. Aber natürlich ist es zu meinem ‚alten Leben‘ noch ein Stück Arbeit, meine Tage sind noch mit Krankengymnastik und Physiotherapie gut ausgefüllt. Mir fehlt noch die Energie, so durchgetaktet zu sein wie vorher-, so wie ich es eigentlich gerne bin. Ich brauche noch Ruhepausen, weil ich dann merke, dass mein Körper das noch nicht so schafft. Aber ich bin auf einem guten Weg dahin zurück, wo ich hin will.“
Mental ist es sicher auch nicht ganz einfach, so einen Sturz hinter sich zu lassen, zumal er deinen Traum der Teilnahme an deinen sechsten Olympischen Spielen hat platzen lassen. Was und wer hat dir geholfen, dich weiter zu motivieren und die Zeit gut zu überstehen?
„Ehrlich gesagt, anfangs habe ich mich da gar nicht drüber nachdenken können. Es ging mir so elend, dass das so weit weg war. Krass gesagt- ich war einfach froh, dass ich lebte und erst einmal alles überstanden hatte. Meine Familie, meine engsten Freunde und mein Freund waren in den ersten Wochen eine riesen Stütze für mich. Ich konnte ja quasi nichts mehr selbst. Anfangs konnte ich auch kaum Besuch empfangen. Was mich aber sehr motiviert hat und mir immer wieder gut tat, waren die ganzen netten Grüße, Blumen und Päckchen, die nach und nach in den 6 Wochen bei mir ankamen. Ich war doch immer wieder überrascht, wie viele tolle Menschen sich bei mir gemeldet haben und mir Rückhalt gespendet haben. Das tat sehr gut, zu merken, dass sie nicht nur in guten Zeiten für mich da sind, wenn wir Schleifen und Medaillen gewinnen, sondern mir in schlechten Zeiten wie dieser jetzt umso mehr den Rücken stärken. Danke dafür an alle, die mich so unterstützten!“
Olympische Spiele sind immer etwas Besonderes, in den letzten 20 Jahren warst du immer dabei. Wie war es für dich, das Ganze am Bildschirm zu sehen und wie hast du den Sieg von Julia Krajewski erlebt?
„Ich habe mit Hans und Peter besprochen, dass ich dem deutschen Team zur Eröffnungsfeier eine Grußbotschaft als Motivation von zuhause schicke. Natürlich habe ich immer mitgefiebert und allen die Daumen gedrückt. Ich hatte dieses Jahr die Zeit, mir alle Prüfungen anzuschauen und das Ganze von der anderen Seite zu erleben. Natürlich juckte es mir immer mal in den Fingern, dass ich dachte ‚ach man, das wäre ja schon schön gewesen‘. Jessi und Dalera waren in der Dressur eine Augenweide und auch die Runden von Isabell mit Bella Rose waren so toll, das war richtig spannend bis zum Schluss. Die Geländenacht habe ich dann mit Freundinnen live geschaut und haben die ganzen tolle Ritte gesehen. Das war für mich eine komplett andere Perspektive. Julias Geländerunde ganz zum Anfang war direkt eine Augenweide, da habe ich mich irre für sie gefreut. Aber auch zum Beispiel für Andrew habe ich mich so sehr gefreut, der vor 20 Jahren schon mit mir zusammen bei den Olympischen Spielen ritt. Mir tat es leid für Michi und Sandra, dass es in diesem Jahr nicht ganz so geklappt hat, wie erhofft. Julia hat mit ihrer Stute insgesamt so eine souveräne Leistung in allen Prüfungen gezeigt, sie brachte genauso Gänsehautmomente wie Jessi und Dalera über den Bildschirm. Ich habe mich sehr für sie gefreut, auch Julia hatte in der Vergangenheit schwere Zeiten, sie hat ihr Ding gemacht und nun konnte sie auf den Punkt im richtigen Moment zeigen, was in ihr steckt. Was ich immer ganz besonders finde- sie hat ihr Pferd, wie ja auch Chipmunk und vorher Samourai du Thot selbst bis dahin ausgebildet und durfte jetzt die Früchte dafür ernten. Für mich ist es auch immer das was es ausmacht, den Weg bis dahin gemeinsam zu gehen.“
Nun sitzt du wieder im Sattel. Hast du in diesem Jahr noch Ziele vor Augen, oder lässt du die nächsten Wochen auf dich zukommen?
„Mein erstes Turnier soll in Arville sein, das ist in knapp zwei Wochen. Da soll in jedem Fall Bobby gehen, wahrscheinlich auch Siena. Ob ich vielleicht von meinen jüngeren Pferden, Cascamara und Hera, noch einen mitnehme, entscheide ich dann kurzfristig. Das mache ich ganz so, wie gut ich mich fühle, aus dem Bauch heraus. Natürlich habe ich die Europameisterschaften dabei schon im Blick, aber ich muss eben schauen, wie es funktioniert. Wenn ich es schaffe ist es gut, wenn nicht, dann muss ich es auch nicht. Ich habe einmal mehr gelernt, dass Gesundheit das höchste Gut ist und ich gut auf mich aufpassen muss. Aber- ich möchte auch im hier und jetzt leben und das genießen, was mir am meisten Spaß macht. Und das ist nunmal die Arbeit mit meinen Pferden.“
Dein Erfolgspferd Hale Bob ist inzwischen 17 Jahre. Wird er im kommenden Jahr noch im Spitzensport zu sehen sein?
„Ja Bobby ist 17, aber er buckelt immernoch freudig los, wenn wir am Berg galoppieren gehen. Bei Sleep Late und Braxxi habe ich damals gewartet, sie haben mir beide irgendwann das Gefühl gegeben, dass nun der Zeitpunkt für die Verabschiedung aus dem Spitzensport gekommen ist. So mache ich das bei Bobby auch, er wird das selbst entscheiden.“